.10267.26293

From Moravian Lives
Revision as of 16:04, 23 February 2018 by MGruner (talk | contribs)

Jump to: navigation, search

allein auf dieser Welt liebhaben, und hundertmal muste ich von neuem wieder gewahr werden
daß es doch nicht wahr sey und daß geschwinde wieder was anders meine unzuverlässige Seele und
Gemüth einnehmen konnte. So ging ich etliche Jahre hin, in einem beständigen Lamentiren
über mich selbst und über die verlorene Vertraulichkeit mit dem <persname>Heiland </persname>und alles wurde mir zuwi-
der, was sonst der Jugend in der Welt zum Vergnügen dienen kann.
Um die Zeit kamen mir die <placename><orgname>berlinischen </orgname></placename><orgname>Reden</orgname> in die Hände und waren mir zu großem Trost
und Segen. Auch hörte ich viel reden von einem gewißen neuen Ort in der <placename>Wetterau</placename>, <placename>Herrnhaag</placename>
genannt, welchen die <orgname>Herrnhuther </orgname>anfingen zu erbauen und fühlte eine unbeschreibliche Freude
darüber. Wiewol es die verächtlichsten Beschreibungen waren, die man mir von der <orgname>Gemeine</orgname>
machte; so glaubte ich immer das Gegentheil und fühlte gar zu gut daß dieses <hi rend="underline">mein</hi> Volck
wäre, mit dem ich leben und sterben wollte, ob ich gleich noch nie keinen Bruder oder Schwester gesehen
hatte, und mein einziger Kummer war nur der: wie wird das möglich seyn dahin zu gelangen?
Indeßen ließ ich keine Gelegenheit vorbey gehen, da ich nicht meinen Elltern etwas äußerte,
von meinen Ideen über die neue Erscheinung des Reiches <persname>Gottes </persname>auf Erden und wie groß
meine Neigung dahin sey: ich konnte aber genugsam abnehmen, daß nimmermehr an ihre
Einwilligung würde zu dencken seyn, mich zur <orgname>Gemeine </orgname>gehen zu laßen, ohne sie, die ich doch wie
mein Leben liebte, auf das äußerste zu betrüben. Allein eines Tags, da ich früh nach Ge-
wohnheit meinen Vater aus dem neuen Testament vorlas, und zu den Worten des <persname>Heilands </persname>kam:
Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn mich, der ist mein nicht werth: wurde ich so gerührt,
daß ich das Buch hinlegte, als ob ich was nothwendiges zu bestellen hätte, eilte in meine Stube
und schrieb einen Brief an meinen Vater über diese Worte, declarirte ihm zugleich auf die be-
weglichste und submissete Weise mit vielen Thränen, daß ich den göttlichen Ruf in meinem
Herzen nun nicht länger wiederstehen könne, ich würde unverzüglich mich aufmachen und fortgehen
nach <placename>Herrnhaag</placename>. Augenblicklich ging ich auch, ohne mich weiter nach etwas umzusehen fort, nahm
den Brief mit und schickte Ihn erst aus dem nächsten Dorf in meiner Elltern Haus zurück:
So kühn und außerordentlich nun dieses Unternehmen aussahe und so schwer es mir zu stehen kam,
(denn meine Elltern schickten mir sogleich nach und ließen mich von <placename>Frankfurth</placename> aus zurück
holen) so war doch dieses das nächste Mittel geweßen, mich los zu machen. Denn verständige
Leute gaben meinen Elltern den Rath, sie sollten mich nur auf eine kurze Zeit nach <placename>Herrnhaag</placename>
schicken, es sey gar nicht zu zweifeln, ich würde dort meinen Irrthum bald selbst einsehen
und so auf immer davon curirt werden. Zufolge dieses guten Rahts, wurde ich in aller
Geschwindigkeit und auf das liebreichste auf einen Besuch nach <placename>Herrnhaag</placename> gebracht.
Der <date>5te November 1744</date> war der glückselige Tag, da ich in <placename>Marienborn </placename>ankam, da ich die ersten
Geschwister sahe und da mich ein Friede <persname>Gottes </persname>umgab und ein Gefühl des Gemein Geistes, das mir
noch immer neu ist, so oft ich daran dencke. Die<orgname> Pilger Gemeine </orgname>war just da, und der <persname>Heiland</persname>
[Seitenumbruch]